Am 6. Juli 2023 fand im Abendgymnasium Frankfurt die Abschlussveranstaltung des Projekts „Rollbahn“ statt. Die Studierenden der Geschichtskurse der Q2-Phase hatten sich im Vorfeld der Veranstaltung klassenübergreifend intensiv mit dem Themenfeld Zwangsarbeit im nationalsozialistischen Deutschland – insbesondere im Raum Frankfurt – auseinandergesetzt und dieses Thema auch aus erinnerungskultureller Perspektive beleuchtet.
Studierende, Lehrerinnen und Lehrer diskutierten an dem Abend mit ihren Gästen zu Fragen über die Pädagogik der Gedenkstätten und des Films „Die Rollbahn“, auch zu Erfahrungen, wie v.a. junge Leute Gedenkstätten erfahren und bewerten. Im Mittelpunkt der Diskussion stand das Erkenntnisinteresse junger Leute an diesen Themen.
Zum Abschluss der Veranstaltung zeigten Studierende des Abendgymnasiums in einem kurzen Gallery Walk, mit welchen Aspekten sie sich im Rahmen der Thematik „Zwangsarbeit“ beschäftigt hatten und stellten ihre Arbeitsergebnisse der Schulöffentlichkeit vor.
Ich heiße Shayan und bin Studierender der Klasse Q2a hier am Abendgymnasium.
Vor zwei Jahren habe ich vorübergehend (Mai bis Juli 2021) in einem Inbound Call Center* gearbeitet. Meine Aufgabe war es, Anrufe von französisch sprechenden Juden entgegenzunehmen, da ich fließend französisch spreche und daher gut kommunizieren konnte.
Das Call-Center war vermutlich von der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ beauftragt worden, telefonische Nachfragen von ehemaligen Zwangsarbeitern entgegenzunehmen und zu bearbeiten bzw. weiterzuleiten. Diese ehemaligen Zwangsarbeiter hatten bereits einen Antrag auf Entschädigung für die Jahre, die sie in Deutschland oder in den von Deutschland besetzten Gebieten hatten kostenlos arbeiten müssen, gestellt und warteten nun auf eine finanzielle Ausgleichszahlung.
Der Kampf für Entschädigung war nach dem Zweiten Weltkrieg lang und zäh. Mit der Wiedervereinigung kam das Thema bei den internationalen Verhandlungen erneut auf die Agenda, und zehn Jahre später, im Jahr 2000, stand dann die Einigung auf Entschädigungszahlungen.
Die französisch sprechenden Juden, die ich in dem Call-Center zu betreuen hatte, waren ehemalige Zwangsarbeiter, die in den Jahren zwischen 1939 und 1945 als KZ-Häftlinge hatten arbeiten müssen. Sie riefen an, weil sie die Information hatten, dass sie unter dieser Nummer Fragen und Probleme besprechen konnten, die mit Entschädigungszahlungen zu dieser Zwangsarbeit zusammenhingen. Den Antrag als solchen hatten sie bereits gestellt, waren aber irritiert, weil sie schon so lange gewartet hatten, ohne dass eine Zahlung oder sonst eine Benachrichtigung gekommen war oder sie hatten ein weiteres Schreiben von der Stiftung erhalten, in dem sie aufgefordert wurden, weitere Unterlagen einzureichen. Oft wussten die Antragsteller nicht, was genau von ihnen verlangt wurde und deswegen riefen sie an. Sie beklagten sich, dass alles so unendlich lange dauerte – immerhin waren seit Kriegsende 76 Jahre vergangen – und sie befürchteten, gar nicht mehr zu leben, bis das Geld endlich käme. Oft überfordert von der bürokratischen Abwicklung des Antragverfahrens fragten sie mich nach Vielem, wie dies oder jenes zu verstehen sei.
Ich war von meinem Arbeitgeber mit den nötigsten Informationen versorgt worden und ich wusste im Großen und Ganzen, was ich den besorgten Anrufern sagen sollte. Erreichte mich ein Anruf, öffnete sich an meinem Computer sofort ein Fenster mit Informationen darüber, wie ich auf welche Fragen antworten sollte (auf
französisch). Manchmal dauerten solche Gespräche eine halbe Stunde, die Männer und Frauen waren froh, jemanden persönlich sprechen zu können, der versprach, Ihr Anliegen weiterzuleiten. Nach den Gesprächen musste ich in Kurzform eine Art Gesprächsprotokoll anlegen, aus dem hervorging, welche Probleme und Fragen die Antragsteller hatten. Ich bearbeitete alles so gewissenhaft wie möglich und war sehr betroffen von den Gesprächen. Nicht selten fragte ich mich, warum diese Menschen so lange hatten warten müssen, bis endlich eine kleine Entschädigungssumme geleistet wurde. Denn viel war es nicht, was die Frauen und Männer erwarten konnten: Die Entschädigungszahlungen waren nämlich so geregelt, dass nicht etwa eine bestimmte Summe als Ganzes, sondern alle 6 Monate lediglich ein Teilbetrag gezahlt wurde. Die Höhe solcher Einzelzahlungen lag bei 300 €.
* Mit Inbound wird in der Telefonie die Kommunikationsrichtung eines Anrufs beschrieben. Inbound steht dabei für eingehende Anrufe und meint, dass das Unternehmen vom Kunden kontaktiert bzw. angerufen wird.